Dr. Lena Schnabel Mit Wärmepumpen zur Wärmewende
Jede erfolgreich laufende Anlage zieht einen Multiplikationseffekt nach sich
Frau Schnabel, sind Wärmepumpen aus Ihrer Sicht die Wärmetechnologie der Zukunft?
Schnabel: Ja, im Gebäudebereich sind sie das — etwa für die direkte Beheizung, sei es in Teilen eines Gebäudes oder auch in einem Einfamilienhaus. Da werden sehr unterschiedliche Leistungsklassen oder Leistungsgrößen benötigt. Außerdem steht der Ausbau der Wärmenetze an: Um diese zu versorgen, muss mit großen Wärmepumpen in hohe Leistungsbereiche gearbeitet werden. Auch dort werden wir nicht mehr auf Gas, Öl oder Abwärme von konventionellen Kraftwerken zurückgreifen können. Somit werden Wärmepumpen die zentrale Technologie zum Bereitstellen von Wärme. Und das wird auch für einige Prozesse in der Industrie zutreffen.
Was sind aktuell noch Limits, die den Einsatz von Wärmepumpen in der Industrie erschweren?
Schnabel: Hier gilt es, noch genauer auf die Temperaturniveaus zu schauen. Es gibt Temperaturbereiche, die heute schon relativ gut durch Wärmepumpenprozesse abdeckbar sind — meist bis 150 oder 200 Grad Celsius, je nachdem mit welchem Kompressor und mit welcher Kältemittel-Öl-Kombination gearbeitet wird. Das sind Temperaturbereiche, die sich auch mit am Markt verfügbaren Systemen und einzelnen Modifikationen und Anpassungen grundsätzlich erreichen lassen. Darüber hinaus ist gerade noch viel in der Entwicklung, denn problematisch sind oftmals die Öle. Die Kompressoren und Verdichter sind alle geschmiert und die aktuell verwendeten Öle zersetzen sich ab einem bestimmten Temperaturniveau. Das ist also eines der Limits, warum sich Wärmepumpen aktuell noch nicht so vielseitig, insbesondere für Temperaturen über 200 Grad Celsius, einsetzen lassen.
Viele Industrieprozesse produzieren große Mengen an Abwärme, die durch Wärmepumpen für andere Prozesse wieder nutzbar gemacht werden könnte. Warum wird dieses Potenzial noch nicht ausgeschöpft?
Schnabel: Jede Anlage ist bisher ein Unikat und wir lernen mit den Erfahrungen. In Deutschland braucht es mehr Best-Practice-Beispiele für Industrieprozesse, in denen Wärme über Wärmepumpen bereitgestellt wird. Skandinavien ist uns hier einen Schritt voraus, es gibt beispielsweise einige Molkereien, die in ihren Prozessen Wärmepumpen mit unterschiedlichsten Kältemitteln einsetzen. Das sind Anlagen mit Ammoniak, Propan oder Wasser. Und jede erfolgreich laufende Anlage zieht einen Multiplikationseffekt nach sich, wenn sie zeigen kann, dass sie im Betrieb Energie spart und die Qualität der Produkte stimmt. In Deutschland gibt es keine solide Bandbreite an gut umgesetzten Anlagen im Feld, die sich dann auch in die Branche übertragen lassen.
Woran liegt es denn, dass es in Deutschland eher wenige Best-Practice-Beispiele für Wärmepumpen in der Industrie gibt?
Schnabel: In der Industrie stehen die Produktqualität, die Betriebssicherheit und die Produktionskosten an erster Stelle, erst dann folgt der effiziente Betrieb. Das Produkt muss eine vernünftige Qualität haben und es muss zu vernünftigen Kosten produziert werden können. Solange dieses Prinzip mit der aktuellen Versorgungstechnik funktioniert, ist das Risiko etwas umzustellen, für viele Unternehmen hoch. Denn das bedeutet eventuell, dass ein gut laufender und eingespielter Prozess durcheinandergebracht wird, die Anlage stillsteht oder die Qualität des Produktes nicht mehr stimmt. Die Zurückhaltung ist daher viel größer als zum Beispiel im Gebäudebereich: Hier hat die Wärmepumpe inzwischen ein Standing am Markt und ist eine Technologie, die sich ohne großes Risiko einbauen lässt.
Wie lässt sich die Hemmschwelle in der Industrie abbauen? Und was ist notwendig, damit Unternehmen den Schritt wagen, Wärmepumpen in ihre Prozesse einzubinden?
Schnabel: Im Moment leisten sicherlich auch die Energiekosten einen Beitrag. Zuerst kam Fridays for Future, dann die neue Bundesregierung und jetzt ganz akut die Situation in der Ukraine. Das Bewusstsein für die verwendeten Energieträger und Energieeinsparung ist dadurch stark gewachsen. In Kombination mit politisch noch mal stärker fokussierten Zielen und der aktuellen energiepolitischen Situation führt das dazu, dass Unternehmen verstärkt Konzepte identifizieren und entwickeln, wie sie ihre Prozesse dekarbonisieren können. Und Wärmepumpen sind dabei fast immer ein Bestandteil.
Zum Abbau von Hemmschwellen kann die Information über erfolgreich laufende Anlagen helfen, für sensible Anwendungen ist der Aufbau von Musteranlagen sinnvoll. Das heißt, Unternehmen können abseits der direkten Produktion in einer geschützten Umgebung ausloten, ob dieser Fertigungs- oder jener Produktionsschritt zum Beispiel auch bei niedrigeren Temperaturen ablaufen kann. Bei vielen Prozessen insbesondere bei Trocknungsprozessen wäre das möglich. Eine solche konkrete Fragestellung außerhalb des Produktionsprozesses exemplarisch zu betrachten, unterstützt Unternehmen dabei, das Verfahren entsprechend anzupassen.
Weiterhin ist die Nachfrage nach langfristigen und nachhaltigen Lösungen in der Industrie groß. Die am Markt verfügbaren Wärmepumpensysteme verwenden überwiegend synthetische Kältemittel. Aufgrund der geplanten Verschärfung der F-Gasverordnung und der Diskussion um die per- und polyfluorierte Alkylverbindungen [kurz: PFAS] ist bei diesen Kältemitteln allerdings nicht sicher, ob diese auch noch in zehn oder 20 Jahren zur Verfügung stehen. Hier braucht es klare Entscheidungen, um Planungssicherheit für die eingesetzten Kältemittel und Komponenten und damit letztlich auch den Anlagenbetrieb zu schaffen.
Was ist die Problematik bei synthetischen Kältemitteln?
In der Industrie wurden lange Zeit sogenannte Fluorchlorkohlenwasserstoffe, kurz: FCKW, als Kältemittel verwendet. Mitte der 90er Jahre sind diese verboten worden, weil sie die Ozonschicht zerstören und die globale Erwärmung begünstigen. Die sogenannte F-Gasverordnung regelt das weitere kontinuierliche Reduzieren dieser synthetischen Kältemittel. Die Verordnung und auch die Diskussion um schädliche Abbauprodukte (PFAS) führt auch in der Industrie zu einem wachsenden Einsatz klima- und umweltfreundlicher natürlicher Kältemittel. Hierzu zählen etwa Ammoniak, Propan, CO2 oder Wasser.
Weitere Informationen zum Ausstieg aus der Verwendung fluorierter Treibhausgase und ozonabbauender Stoffe bietet unter anderem die Webseite der Europäischen Kommission.
Frau Schnabel, klimaneutrale Kältemittel sind auch Schwerpunkte in Ihrer Forschung, unter anderem im Forschungsprojekt LC150. Wie ist in dem Bereich der Stand der Forschung?
Schnabel: Natürliche Kältemittel haben alle sehr besondere Eigenschaften. Das bedeutet, dass auch die Anlagen spezifisch auf diese Kältemittel angepasst werden müssen.
Im Forschungsprojekt LC150 arbeiten wir mit dem Kältemittel Propan. Propan ist brennbar und daher gilt es, in der Geräteentwicklung das Sicherheitsrisiko so klein wie möglich zu halten. Ein allererster Schritt ist dazu, die Füllmenge so weit wie möglich zu reduzieren. In Europa funktioniert mittlerweile jeder Kühlschrank mit einem brennbaren Kältemittel — die Füllmengen liegen typischerweise zwischen 80 und 120 Gramm. Das ist die Größenordnung, die wir auch für Wärmepumpen für den Gebäudebereich anstreben.
In LC150 haben wir daher untersucht, wieviel Heizleistung einem Gebäude bereitgestellt werden kann, wenn die Füllmenge 150 Gramm Propan beträgt. Eine Heizleistung im Bereich von acht bis zehn Kilowatt konnten wir dabei bereits erreichen. Für eine Etagenwohnung um die 80 bis 100 Quadratmeter oder auch ein Einfamilienhaus ist dies durchaus eine vernünftige Größenordnung. Gemeinsam bearbeiten wir das Thema für mehrere Industriepartner und wollen auch herausfinden, wie sich die Lösung dann perspektivisch in Produkte integrieren lässt.
Das Besondere in LC150 ist auch, dass mehrere Wärmepumpenhersteller ihre Expertise in das Projekt miteinbringen und die Entwicklung insofern auch gemeinsam in einem geschützten Raum stattfindet. Ist das auch eine Art Best-Practice, um die Wärmepumpen und Großwärmepumpen voranzubringen?
Schnabel: Vom Projektkonstrukt her ist es das auf jeden Fall. Wir entwickeln diesen Kältekreis für neun verschiedene Wärmepumpenhersteller. Normalerweise hätte das jede dieser Firmen für sich selbst getan und wäre damit individuell das Risiko in der Entwicklung eingegangen. In einem Projekt wie LC150 haben die Wärmepumpenhersteller die Möglichkeit, an dem neu generierten Know-how zu partizipieren, ohne in diesem großen Ausmaß investieren zu müssen. Am Ende besteht für sie zwar keine Exklusivität an dem Produkt, aber es kann die Prozesse beschleunigen, weil der Aufwand geteilt wird.
Ist so etwas in Bezug auf Wärmepumpen in der Industrie auch denkbar und wenn ja, was wäre gegebenenfalls anders?
Schnabel: Ja, für industrielle Anwendungen könnte ich mir so eine Vorgehensweise auch vorstellen. Da geht es dann um ganz andere Stückzahlen und viel stärker um den Apparatebau mit spezifischen Fragestellungen. Für so ein Konstrukt wäre es denkbar, einzelne charakteristische Industrien an einen Tisch zu bekommen und für diese Firmen geeignete Ansätze zu entwickeln: Etwa mehrere Ziegeleien, die vor der Fragestellung stehen, wie sie ihre Trocknung umstellen oder mehrere Molkereien, die vor der Herausforderung stehen, Wärmepumpen zu integrieren.
Eine Herausforderung ist, dass das in der Industrie oft Leistungsklassen sind, die nicht mehr so einfach im Labor realisierbar sind. Zudem sind die Investitionen größer, auch bei einem Labor-Aufbau. In der Leistungsklasse acht bis 20 oder 30 Kilowatt ist es deutlich einfacher, eine Anlage umzusetzen und im Labor auf Herz und Nieren zu prüfen. Ab Größenordnung 500 Kilowatt aufwärts geht es schon schnell Richtung Demonstrations-Anlage und in die Größe einer realen Installation.
Wenn es Richtung Praxistransfer geht, welchen Unterstützungsbedarf sehen Sie da im Industriebereich?
Schnabel: Hier ist es sinnvoll, vereinheitliche Planungs- und Auslegungs-Tools zu schaffen, um mehr Klarheit in die Prozesse reinzubekommen. Nimmt beispielsweise ein Industrieunternehmen bei einer bestimmten Fragestellung Kontakt mit einem Wärmepumpenhersteller auf, dann bekommt es das System des jeweiligen Herstellers empfohlen. Hier fehlt ein Stück weit ein neutrales Bewertungswerkzeug, das Orientierung schafft und sinnvolle Kombinationen aufzeigt, bereits Gelerntes darstellt. Im Moment wird wahnsinnig viel ausprobiert, getestet und vor allem auf Erfahrungswissen zurückgegriffen. Insofern könnte an der Stelle noch deutlich mehr Systematik rein und da sind wir in vielen Projekten dran: Wie kann eine systematische Begleitung aussehen? Wie lassen sich Prozesse klarer voranalysieren, um besser aussagen zu können, welche Wärmepumpenkreise in welcher Anwendungen am sinnvollsten sind? Das ist aufwendiger als bei den Gebäude-Wärmepumpen, weil die Prozesse und Temperaturen in der Industrie nicht so standardisiert sind. Bei Gebäuden sind die Heizungsvorlauftemperatur und die Wärmequelle in der Regel bekannt. Das ist in der Industrie deutlich komplexer.
Und wie sieht das bei den Wärmenetzen im Quartierbereich aus: Warum sind Großwärmepumpen dort noch nicht sehr weit verbreitet?
Schnabel: Da ist im Moment einiges in der Umsetzung. In zwei Umsetzungsprojekten sind wir auch beteiligt und begleiten die Inbetriebnahme, die Anlagenkonzepte und das Monitoring. Ich bin mir sicher, dass hier der Best-Practice-Effekt ziehen und in den nächsten zwei bis drei Jahren noch eine deutliche Beschleunigung reinbringen wird.
Wärmenetze sind greifbarer als ein sehr breit gefächertes Spektrum an Industrieprozessen. Bei einem Wärmenetz ist klar, was es am Ende können und auf welchem Temperaturniveau es arbeiten muss. Hier gilt es vor allem zu klären, welche Quellen letztendlich anwendbar sind und wie eine wirtschaftliche Umsetzung aussehen kann.
Das Interview produzierten Annika Zeitler und Leona Niemeyer, Wissenschaftsjournalistinnen beim Projektträger Jülich.